Mystisch, düster und doch fest in der Realität verankert: So kommt „Rauhnächte“ von Ellen Sandberg daher. Ganz neu ist der Stoff allerdings nicht. Die Autorin hat die Geschichte bereits vor rund zehn Jahren als Jugendbuch erzählt. Heute sagt sie, sie sei mit der Geschichte damals noch nicht fertig gewesen – und hat sie nun überarbeitet und deutlich erwachsener gemacht. Eine gute Nachricht für alle Leserinnen und Leser, die längst älter als 13 oder 14 sind.
Darum geht’s
Im Mittelpunkt des Romans steht Pia, Anfang 20. Sie absolviert ein soziales Jahr, weil sie noch nicht weiß, wohin ihr Weg sie führen soll. Nach außen wirkt ihre Familie perfekt, doch hinter verschlossenen Türen fehlt es an Nähe und Wärme. Pia hatte schon immer das Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören. Ihre Eltern Kathrin und Paul sind distanziert – echte Verbindungen scheinen selten.
Ausgerechnet in der weihnachtlichen Idylle gerät Pias Welt ins Wanken. Ihr Vater hat eine Affäre und erwartet ein Kind mit der anderen Frau. Als die Eltern lautstark streiten, erfährt Pia zufällig, dass sie mit vier Jahren adoptiert wurde. Ihre leibliche Mutter war Kathrins Schwester Sonja, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Über Pias leiblichen Vater wurde stets geschwiegen.
Pia will wissen, wer ihre Mutter war – und wie es wirklich zu dem Unfall kam. Doch ihre Adoptivfamilie blockt ab. Also macht sie sich von München aus auf den Weg nach Wasserburg, den Heimatort ihrer Familie, um selbst nach Antworten zu suchen.
Auch dort stößt sie auf Mauern. Alte Freunde wissen angeblich nichts oder wollen nichts sagen. Neuen Bekanntschaften traut Pia nur bedingt. Bald wird klar, dass ihre Nachforschungen gefährlich sind. Das kleine Häuschen, in dem sie unterkommt, wirkt alles andere als sicher und in den dunklen Winternächten schleichen unheimliche Gestalten durch die Straßen.
Denn es sind die Rauhnächte – jene Zeit zwischen den Jahren, in der nach altem Brauch die Geister vertrieben werden. Und je länger Pia bleibt, desto unklarer wird, ob sie es nur mit verkleideten Dorfbewohnern zu tun hat oder ob tatsächlich etwas Unheimliches sein Unwesen treibt.
Meine Meinung
„Rauhnächte“ ist für mich ein echtes Winterbuch – eines für die Tage, an denen es länger dunkel als hell ist. Schon gegen 16 Uhr ist es finster, die Wege rund um Pias Unterkunft sind kaum beleuchtet, es ist kalt, einsam und unübersichtlich. Die Atmosphäre ist so dicht und düster, dass es mich nicht überrascht hätte, wenn tatsächlich Geister, Hexen oder Kobolde aufgetaucht wären.
Mit den ausgeprägt mystischen Elementen der Geschichte habe ich mich allerdings stellenweise etwas schwergetan. Was mich beim Lesen dennoch gehalten hat, war Pias Lebensrealität. Sie ist fest im Hier und Jetzt verankert und ihre persönliche Entwicklung ist spannend genug, um über das hinwegzusehen, was mir weniger gefallen hat. Ich wollte wissen, wie es mit ihr weitergeht.
Besonders interessant fand ich die Passagen, in denen es um Pias leibliche Mutter Sonja und um alte Familiengeheimnisse geht. Gleichzeitig empfand ich die Sprache in diesen Rückblicken stellenweise als etwas altmodisch. Gerade bei bildhaften Beschreibungen tauchen einige Stereotype oder antiquiert wirkende Formulierungen auf. Lasst euch davon zu Beginn nicht abschrecken – es wird im Laufe des Buches besser.
Die Einordnung als „Roman“ könnte Leser:innen mit schwachen Nerven allerdings in die Irre führen. Streckenweise ist „Rauhnächte“ sehr spannend und durchaus gruselig – und zwar ganz handfest, nicht nur psychologisch, wie man es aus anderen Büchern von Ellen Sandberg kennt.
Fazit: Lohnt sich „Rauhnächte“?
Für mich war „Rauhnächte“ ein lesenswerter Roman, auch wenn er kleinere Schwächen hat. Besonders empfehlen würde ich das Buch allen, die düstere Winterlektüre, Familiengeheimnisse und Spannung mögen, ohne einen klassischen Thriller zu erwarten. Wer sich auf eine mystische Atmosphäre einlassen kann, wird hier gut unterhalten.
In Kürze
Titel: Rauhnächte
Autorin: Ellen Sandberg
Genre: Roman
Verlag: Penguin
Erscheinungsjahr: 2025
Preis: 22 €
Rezensionsexemplar / unbezahlte Werbung