Ich schätze Jörg Thadeusz als Journalisten sehr, mag seine Art Interviews zu führen und habe jetzt festgestellt: Der Mann kann auch Romane schreiben.
Pottkultur
Steinhammer ist eine Straße im tiefsten Ruhrpott, genauer gesagt in Dortmund. Der zweite Weltkrieg ist ein paar Jahre vorbei und wer hier lebt, ist vom Leben abgehängt worden. Der Krieg hat Spuren hinterlassen – an den Häuser, aber noch mehr an den Menschen. Die einen haben körperliche Blessuren mitgebracht, den anderen sind die harten Jahre auf die Psyche geschlagen. Die Menschen in der kleinen Siedlung eint vor allem das „es muss ja irgendwie weitergehen“ und „einer muss es ja machen“. Hoffnung gibt es wenig und die Möglichkeit aus dem grauen Alltag auszubrechen, gibt es kaum.
Edgar
Edgars Vater ist im Krieg gefallen. Bevor er abgereist ist, hat er seiner großen Liebe und seinem Bruder gesagt, dass sie ein Paar werden sollen, wenn ihm etwas passiert. Das haben sie gemacht, sie sind eine Vernunftehe eingegangen, in der keiner wirklich glücklich ist. Aber Glück erwartet zu dieser Zeit auch niemand. Edgar malt gerne, ob er gut ist, weiß er nicht, denn Kunst ist kein Thema in dieser Zechensiedlung. Er soll in das Friseurgeschäft seines Onkels/Stiefvaters einsteigen, als er sich weigert bleibt nur der Bergbau. Zum Glück setzt sich der Vater seines Freundes Jürgen für ihn ein und besorgt ihm eine Lehrstelle als Schaufensterdekorateur bei Horten.
Jürgen und Nelly
Jürgen fängt bei Horten als Verkäufer-Lehrling an. Der Vater hört seit dem Krieg nicht mehr und weigert sich zu sprechen, seine Mutter ist an Krebs gestorben. Und Nelly verbindet eine unschuldige Liebe mit Edgar. Sie lebt bei ihrer Mutter, bis diese in die Psychiatrie eingeliefert wird und die reiche, strenge Großmutter die Vormundschaft übernimmt. Die enge Freundschaft der drei Jugendlichen ist das Einzige, was Ihre Jugend erträglich macht.
Erwachsen werden
Obwohl alle aus der gleichen Straße kommen, entwickelt sich ihr Leben in ganz unterschiedliche Richtungen. Jürgen verliebt sich in eine etwas ältere Frau und wandert nach Amerika aus, Nelly wird zur Ausbildung nach Hamburg geschickt und wird dort erfolgreich. Und Edgar findet Menschen, die den Künstler in ihm erkennen und ihm ein Studium an der Düsseldorfer Akademie ermöglichen. Der Kontakt reißt zwar immer wieder ab, trotzdem gibt es eine Verbindung, die ein Leben lang halten wird.
Meine Meinung
Jörg Thadeusz ist mit diesem Buch ein tolles Stück Literatur gelungen. Er schafft es, das Ruhrgebiet der 1950er und 1960er Jahre lebendig werden zu lassen. Seine Beschreibungen sind realistisch, die Sprache ist authentisch und die Figuren sind in ihrem Handeln und Sein absolut nachvollziehbar. Gleichzeitig ist es auch eine Familiengeschichte, denn der Maler, der hier Edgar heißt, hieß im wahren Leben Norbert Thadeusz und war ein Verwandter von Jörg. Er ist 2010 verstorben. Das Ende ist nicht ganz so stark wie die vorherigen 90% des Buches, aber das kann nun mal passieren, wenn man der Wahrheit nichts hinzufügen möchte. Ganz großes Kino ist es, wie Jörg Thadeusz zeigt, was Armut, Kriegsversehrtheit und schlimme Erlebnisse mit einem Menschen machen und dass man diese Erfahrungen nicht los wird, egal wie weit man sich auch räumlich entfernt.
In Kürze
Titel: Steinhammer
Autor: Jörg Thadeusz
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erschienen: 2023
Preis: 23 Euro