Buchtipp: Das Tor Europas (Serhii Plokhy)

Auch wenn ich nicht mehr als Journalistin arbeite, steckt der Nachrichten-Junkie immer noch in mir. Wenn irgendwo auf der Welt etwas Wichtiges passiert, möchte ich keine Information verpassen und am liebsten alles, was die Medien berichten, aufsaugen. Das hält meistens ein paar Tage oder auch Wochen an, flaut dann langsam ab und verkehrt sich ins Gegenteil. So ging es mir auch beim Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Ich war besorgt, mein Bild einer friedlichen Welt geriet ins Wanken und ich wollte genau wissen, wer wann wo was tut. Irgendwann kam aber der Punkt, an dem ich dachte: „Ich möchte davon nichts mehr hören.“ Ja, das macht mir ein schlechtes Gewissen, lässt sich aber vermutlich als Selbstschutz erklären und rechtfertigen. Natürlich ist es schlimm, dass dort Menschen sinnlos sterben müssen, dennoch müssen wir alle unser Leben weiterführen. Vor kurzem kam ich allerdings an den Punkt, an dem ich dachte, ich habe viel zu wenig zu den Hintergründen mitbekommen. Ich könnte sagen, wann in welcher Stadt die schlimmsten Angriffe waren, aber nicht erklären, wie man einen solchen Krieg historisch rechtfertigen will. Also habe ich mich auf die Suche nach passender Lektüre gemacht und bin beim Harvard-Professor Serhii Plokhy fündig geworden.

In diesem Buch erzählt er die Geschichte der Ukraine vom 5. Jahrhundert vor Christus bis zur Annexion der Krim 2015. Der Angriff Russlands auf die Ukraine wird nur kurz erwähnt, denn bei Erscheinen des Buches hatte der Krieg gerade erst begonnen. Das ist aber nicht schlimm, denn die aktuellen Ereignisse sind uns allen durch die Medienberichterstattung immer präsent.

Normalerweise bekommt ihr von mir eine Inhaltsangabe meiner Buchtipps, das ist in diesem Fall einfach nicht machbar.

Obwohl der Autor sich wissenschaftlich mit der Ukraine beschäftigt, schafft er es, in diesem Buch sehr einfach und gut verständlich Zusammenhänge zu erklären. Man kann ihm leicht folgen und die Details, die er schildert sich sehr interessant. Anfangs habe ich noch ein wenig gefremdelt, weil er die ukrainischen Bezeichnungen nutzt (was ich gut und nachvollziehbar finde) und nicht die russischen, die uns deutlich geläufiger sind. Aus Kiew wird dann eben Kyjiw. Bei der Vielzahl an Orts- oder Herrschernamen habe ich da ein wenig den Überblick verloren, das wurde mit längerer Lesedauer aber immer besser.

Fasziniert hat mich die wechselvolle Geschichte des Landes, das eigentlich so gut wie nie „sich selbst gehört hat.“ Immer gab es andere Staaten und Völker, die ein Stück vom Kuchen, dieses fruchtbaren und strategisch günstig gelegenen Landes, abhaben wollten. Das fing mit Wikingern und Mongolen an und endet bei Putin. Erschreckt hat mich, wie viele Menschen gestorben sind, weil sie den Machthabern nicht so wichtig waren, sei es in der großen Hungersnot, die aus politischen Gründen entstanden ist oder im zweiten Weltkrieg.

Je weiter es in die Neuzeit ging, um so neugieriger bin ich geworden, denn viele Politikernamen waren mir natürlich geläufig, auch wenn ich nicht ganz so tiefe Kenntnisse über die politischen Ereignisse dieses Jahrhunderts in Osteuropa hatte. In Schule und Politikstudium haben wir alles vor allem aus dem deutschen Blickwinkel betrachtet und da kam die Ukraine kaum vor. Hier habe ich dann noch den fundierten Hintergrund dazu bekommen, etwa über die Korruption im Land, die Demonstrationen auf dem Maidan-Platz, das Machtgefüge zwischen Russland und der Ukraine und vieles mehr.

Wenn ihr etwas über die Ukraine erfahren möchtet, das über die tägliche Berichterstattung hinausgeht, kann ich euch dieses Buch sehr ans Herz legen.

In Kürze

Titel: Das Tor Europas

Autor: Serhii Plokhy

Verlag: Hoffmann und Campe

Erschienen: 2022

Preis: 30 Euro

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