Buchtipp: Muna oder Die Hälfte des Lebens (Terézia Mora)

Ich lese im Moment sehr viel, komme aber kaum dazu auch die Rezensionen zu den Büchern zu schreiben. Für dieses Buch mache ich gerne eine Ausnahme, denn es lohnt sich wirklich, reinzuschauen.

Darum geht’s

Es ist die Geschichte einer toxischen Beziehung, die viele Jahre dauert. Wir befinden uns Ende der 1980er Jahre in einem kleinen Ort in der DDR. Muna ist gerade 18 geworden und steht kurz vor dem Abitur. Sie jobbt in einer kleinen Zeitungsredaktion und lernt dort Magnus kennen, der deutlich älter ist, als Lehrer arbeitet und nebenbei für das Magazin fotografiert. Muna verliebt sich Hals über Kopf, folgt Magnus ein halbes Jahr lang heimlich auf Schritt und Tritt. Als er sie irgendwann dabei bemerkt, schlafen beide zusammen. Am nächsten Tag bricht Magnus zu einem lange geplanten Urlaub auf und kehrt nicht zurück, sondern flüchtet über Ungarn in die BRD. Muna bleibt alleine zurück, denn ihre alkoholkranke Mutter ist nach einem Selbstmordversuch in der Psychiatrie gelandet. Die Nacht mit Magnus wird Muna nicht aus dem Kopf gehen, egal wen sie kennenlernt, egal wo sie lebt. Sie studiert in Berlin, London und Wien, arbeitet in Forschungsprojekten mit, kellnert, jobbt, trifft viele Menschen. Wirklich vollständig fühlt sie sich erst als sie nach sieben Jahren zufällig im Theater in Berlin Magnus trifft. Sie geht nach der Vorstellung mit ihm mit und bleibt einfach bei ihm. Er ist von Beginn an nicht besonders nett zu ihr, er fordert und gibt wenig, bestimmt wo und wie man sich trifft und wird schließlich gewalttätig – emotional und körperlich. Eine toxische Beziehung, die erst mit dem Tod enden kann.

Muna

Muna tritt in diesem Buch als Ich-Erzählerin auf. Sie spiegelt eine faszinierende Ambivalenz: auf der einen Seite ist sie Literaturwissenschaftlerin und forscht zu feministischen Themen, auf der anderen Seite lebt sie nach dem Motto „die Frau sei dem Manne untertan.“ Sie muss sich durchbeißen, mit widrigen Umständen zurechtkommen und meistert das fabelhaft, aber sobald Magnus ins Spiel kommt, ist diese Stärke weg. Obwohl man genau weiß, was Muna denkt und sagt, bleibt die Frage, warum sie in dieser erniedrigenden, unfreundlichen Beziehung bleibt und wo sie dort die Liebe sieht, die für Außenstehende (Leser und auch Freunde/Bekannte von Muna) unsichtbar bleibt.

Meine Meinung

Es ist ein unbequemes Buch, weil es in Wunden stochert und die Leserinnen und Leser ganz nah ran lässt an all die negativen Dinge, die Muna passieren. Manchmal wollte ich sie schütteln und ihr raten zu gehen oder etwas nicht zu tun, weil ich dieser Kämpferin nicht bei ihren Schmerzen und ihrem Leid zusehen wollte.

Ich habe in einigen Rezensionen gelesen, dass Leserinnen das Buch nicht mochten, weil sie von Anfang an nicht verstehen konnten, warum Muna sich schlecht behandeln lässt, warum sie es hinnimmt, dass man verletzende Sprüche macht usw. Das ist vermutlich eine Generationenfrage. Ich bin fast so alt wie Muna und nach dem Abitur ähnlich sozialisiert in literaturwissenschaftlichen Akademikerkreisen und muss sagen, es waren andere Zeiten und vieles kommt dem Beschriebenen sehr nah. Von #metoo waren wir damals so weit entfernt wie vom Mond, egal für wie feministisch wir uns auch gehalten haben.

Das sprachliche Niveau dieses Buchs ist bemerkenswert. Terézia Mora streicht Sätze durch, setzt Gedanken in Klammern, so dass wir immer wissen, was Muna rausrutscht oder was sie nur denkt, sich aber nicht zu sagen traut. Es ist eine flüssig lesbare Geschichte, die wehtut. Unbedingt empfehlenswert.

In Kürze

Titel: Muna oder die Hälfte des Lebens

Autor: Terézia Mora

Verlag: Luchterhand

Erschienen: 2023

Preis: 25 Euro

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