Ellen Sandberg: Das Unrecht

Der Klappentext hat mir riesige Lust auf dieses Buch gemacht. Beim Prolog war ich dann allerdings zunächst enttäuscht, denn mit einem Roman, der die Flucht aus der DDR zum Inhalt hat, habe ich nicht gerechnet. Zum Glück habe ich mich doch darauf eingelassen, denn dieses Buch ist hervorragend konstruiert und sorgt für ordentlich Spannung. Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen.

Zeitebene 1

Es ist 1988 und wir sind in Wismar, einem schmucken kleinen Ort an der Ostseeküste. Für eine kleine Clique ist es der Sommer nach dem Abitur, in dem man noch von einem Studienplatz im erhofften Fach und einem Leben außerhalb der engen DDR-Grenzen träumen kann. Aber auch in dieser Situation merken die jungen Leute schon, dass der Staat nach ihnen greift. Einer nach dem anderen sieht seine Träume platzen. Sandro soll für die Stasi spionieren, sonst ist die Eislaufkarriere seiner talentierten Schwester beendet und Mischa bekommt keinen Studienplatz für Literaturwissenschaften, weil es schon genug Germanisten in der DDR gibt. Statt dessen soll er Ingenieur werden. Als er auch noch seinen Einberufungsbescheid für die Armee bekommt und dort die nächsten drei Jahre verbringen soll, beschäftigt er sich mit dem Gedanken zu fliehen. Anett ist Hals über Kopf in Mischa verliebt und zögert nicht eine Sekunde: Sie wird ihn bei der Flucht begleiten und so üben beide wochenlang auf der Ostsee mit ihren Segelbooten. Die Flucht geht schief, Mischa stirbt, Anett kommt ins Gefängnis.

Zeitebene 2

Rund 30 Jahre später in Bayern. Anett ist inzwischen mit Volker verheiratet, der damals auch zur Clique gehörte. Er war es, der Anett im Gefängnis beigestanden hat und auch nach der Entlassung immer für sie da war. Auch wenn die Ehe glücklich ist und die Silberhochzeit bevorsteht, quält sich Anett immer noch mit der Frage, was gewesen wäre, wenn Mischa überlebt hätte. Nach einem Streit mit Volker fährt sie für einige Tage nach Wismar und fängt an zu recherchieren. War es wirklich Sandro, der die Flucht damals verraten hat oder steckt doch etwas ganz anderes dahinter?

Geschickte Rückblenden

Ellen Sandberg nutzt diese beiden Zeitebenen sehr geschickt. Nach und nach entwickelt sich so ein Gesamtbild der damaligen Ereignisse. Und so ahnen wir als Leser manchmal schon vor Anett, was passieren wird. Das führt dazu, dass man sie beim Lesen am liebsten warnen möchte und mit ihr mitfiebert in dem Wunsch, alles möge gut ausgehen.

Für mich war es besonders spannend dabei zuzusehen, wie eine ganz normale Familie langsam auseinander bröckelt und sich Abgründe auftun, die über Jahrzehnte niemand wahrhaben wollte. Die Tage in Wismar führen dazu, dass Anett sich von Volker trennen will und diese Entscheidung holt seine schlechtesten Seiten hervor. Er räumt das Konto leer, redet schlecht über sie und sorgt dafür, dass sie keinen Job findet. Die Situation schaukelt sich immer mehr hoch, die Spannung kaum auszuhalten und das Ende ist dann völlig anders als erwartet.

Obwohl ich mit der Thematik am Anfang gefremdelt habe, hat mich dieses Buch sehr schnell gepackt und nicht mehr losgelassen. Es war die Normalität eines nach außen langweiligen Lebens, das aus den Fugen gerät, die für mich das Fesselnde der Geschichte ausgemacht hat. Dazu kommt, dass man sehr deutlich sieht, dass die Ereignisse in der Jugend tiefgreifende Wunden und Erfahrungen hinterlassen haben.

Das Buch ist ein Stück deutsche Geschichte, verpackt in einen hervorragenden Thriller.

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